Kernsystem-Modernisierung: Das teuerste Update nützt nichts ohne radikale Organisationsanpassung

Millionenschwere IT-Modernisierung. Go-live pünktlich, Budget im Rahmen. Doch für Beteiligte bleibt alles zäh wie zuvor. Warum scheitern so viele Modernisierungsprojekte daran, echten Geschäftsnutzen zu liefern? Die Antwort ist unbequem.

Kernsystem-Modernisierung: Das teuerste Update nützt nichts ohne radikale Organisationsanpassung
Teures IT-Update, aber alles fühlt sich an wie vorher - Versicherungstech Magazin

Der Projektleiter meldet: „Go-live erfolgreich, Budget eingehalten, Systeme laufen stabil.“ Erleichterung im Vorstand. Haken dran. Doch sechs Monate später: Prozesse schleppen sich dahin wie zuvor. Der Vertrieb tippt weiter in seine Excel-Listen, die Schadenabteilung tauscht sich immer noch E-Mails aus und neue Produkte kommen nicht schneller in den Markt … eher im Gegenteil.

Technisch war das Projekt ein Vorzeigebeispiel. Geschäftlich ist es ein Rohrkrepierer – für die Beteiligten hat sich kaum etwas spürbar verändert. Der Nutzen des IT-Updates? Marginal.

Viele Versicherer kennen diese Situation – und sie zeigt eine unbequeme Wahrheit: Der wahre Hebel liegt nicht in der Technik, sondern in der Organisation.

In diesem Beitrag erfahren Entscheider, warum IT-Modernisierung ohne Organisationsumbau ein Risiko ist, welche strategischen Fehler dabei regelmäßig passieren – und welche Schritte Sie in den nächsten vier Wochen zwingend einleiten sollten.

Warum Millioneninvestitionen in IT oft scheitern

Der Handlungsdruck ist hoch – der Wettbewerbsvorteil entsteht aber erst, wenn Technik und Organisation gemeinsam modernisiert werden.

Technik allein reicht nicht

In der Versicherungswirtschaft gilt noch oft die Annahme: Neue Plattform, moderne Architektur, saubere Datenmigration – und schon rollt der Erfolg. Die Realität widerlegt das. Wer Prozesse, Entscheidungswege und Arbeitsweisen unverändert lässt, digitalisiert vor allem bestehende Ineffizienzen. Das System läuft, aber der geschäftliche Nutzen bleibt aus.

Kundenverhalten

Kunden erwarten heute Abschlüsse in Minuten, sofortige Schadenmeldungen und Produkte, die sich an die Lebenssituation anpassen. Moderne Systeme schaffen die technische Basis dafür, aber ohne schlanke Prozesse und kurze Entscheidungswege verpufft das Potenzial.

Regulatorischer Druck

Der Digital Operational Resilience Act (DORA) stößt IT-Programme an, verlangen jedoch mehr als technische Umsetzung: Stabilität, Sicherheit und Transparenz entstehen nur, wenn Verantwortlichkeiten klar geregelt sind, funktionsübergreifende Teams reibungslos zusammenarbeiten und Prozesse darauf abgestimmt werden.

Technologischer Wandel

Cloud, KI-gestützte Automatisierung und offene API-Ökosysteme eröffnen neue Geschäftsmodelle (Embedded Insuranace) und Prozesse (BiPRO). Doch sie wirken nur, wenn Mitarbeitende sie anwenden können. Das ist vor allem eine Frage von Befähigung und Kultur.

Wirtschaftlicher Druck

Steigende Schadenquoten und höhere Vertriebskosten drücken die Margen und lassen keinen Raum für ineffiziente Prozesse und Strukturen. Ohne eine gezielte organisatorische Optimierung bleibt das Einsparpotenzial reine Theorie.

Handlungsempfehlungen für Entscheider:innen

Diese Woche umsetzen

  • Prozessinventur starten: Innerhalb von 5 Arbeitstagen die drei umsatz- oder kostenrelevantesten Prozesse identifizieren und dokumentieren (zumindest grob), bevor weitere IT-Anpassungen beauftragt werden.
  • Fachbereiche aktiv einbinden: In den nächsten 7 Tagen mindestens ein cross-funktionales Workshop-Format etablieren, dessen Ergebnisse direkt in Projektentscheidungen einfließen.
  • Entscheidungsstrukturen klären: Bis Ende der Woche eine Liste mit allen projektkritischen Entscheidungen erstellen und klaren Entscheidern zuordnen.

Managen und Messen

  • Time-to-Market: Zielwert ist die Reduktion der Produktentwicklungszeit um mindestens 25 % innerhalb von 12 Monaten nach Go-live.
  • Dunkelverarbeitungsquote: Zielwert ist die Steigerung um 25 % im ersten Jahr.

Typische Fallstricke

  • Unveränderte Prozesse: Digitalisieren Sie keinen 5-Schritt-Genehmigungsprozess – verschlanken Sie ihn zuerst.
  • IT-first-Mentalität: Vermeiden Sie, dass Architekturentscheidungen monatelang ohne Input der Fachbereiche reifen.
  • Kulturelle Trägheit: Change-Management beginnt vor dem Go-live und endet nicht mit der Schulung zur Einführung.

Internes Hauptargument

Jede Million Euro in Technik ist ohne organisatorische Anpassung ein hohes Risiko-Investment. Der Return on Investment entsteht erst durch schnellere Einführung neuer Produkte, höhere Prozesseffizienz und bessere Kundenerlebnisse.

Lernen von anderen

Banken und FinTechs haben vorgemacht, dass Core-System-Modernisierung nur dann Mehrwert bringt, wenn sie mit Prozess- und Kulturwandel kombiniert wird.

In den USA setzen große Versicherer wie Progressive auf modulare Plattformen und agile Organisationsstrukturen parallel – und können so schneller Produktupdates in den Markt bringen.

Die Botschaft ist klar: Globale Player koppeln Technik und Organisation. Wer das trennt, verliert im Wettbewerb – nicht, weil die Technik schlechter wäre, sondern weil die Umsetzungsgeschwindigkeit leidet.

Sind Sie bereit für das echte Update?

Die meisten Modernisierungsbudgets fließen in Technik. Der wahre Knackpunkt liegt jedoch in Strukturen, Prozessen und Kultur. Wer nur das Rechenzentrum modernisiert, digitalisiert oft jahrzehntealte Altlasten.

Strategische Frage für Ihr nächstes Management-Meeting: Wollen Sie wirklich Millionen in die Digitalisierung bestehender Schwächen investieren – oder den Mut haben, Ihre Organisation genauso radikal zu modernisieren wie Ihre IT?

Quellen